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Die Reithalle im Bergpark Wilhelmshöhe

Entwurf einer denkmalgerechten Instandsetzungsstrategie

Projektzeitraum:
Typ:
Abschlussarbeit
Profillinie:
Gebauter Raum – Entwerfen, Bauen, Erhalten

Überblick 

Die Masterarbeit beschäftigt sich mit der realitätsnahen Modellierung historischer Holzkonstruktionen am Beispiel der Reithalle im Bergpark Wilhelmshöhe in Kassel. Die Reithalle ist ein rechteckiger Fachwerkbau, bei dem die Außenwände eine große Schiefstellung besitzen (siehe Abbildung 2) und das Dach mit einer Notabstützung (siehe auch Abbildung 3) gesichert ist. Im Zuge einer Instandsetzung soll die zukünftige Tragsicherheit festgestellt werden. 

In der Arbeit wurden zuerst Unterlagen, welche für das Objekt vorliegen, eingehend studiert und Erkenntnisse zusammengefasst. Die Ergebnisse sind hierbei eine Beschreibung des Zustandes, eine Analyse des Bautyps, sowie eine Darstellung der Bauhistorie der Reithalle. Es konnte gezeigt werden, dass diese drei Ergebnisse miteinander zusammenhängen. 

Um die Tragwirkung des „Offenen Dachwerks“, sowie die Auswirkungen der nachträglich eingebauten Elemente analysieren zu können, wurde zunächst das allgemeine Vorgehen erarbeitet. Ziel war es, ein dreidimensionales FEM-Modell der Reithalle zu erstellen, welches die Tragwirkung realitätsnah darstellt, da dies insbesondere im Fall von offenen Dachwerken wichtig ist. Ein Hauptaugenmerk bei dem Vorgehen war die Ermittlung von Steifigkeiten der zimmermannsmäßigen Verbindungen. Anhand eines Leitfadens der Berner Fachhochschule konnten baupraktische Berechnungen für die Steifigkeiten genutzt werden. Für die Analyse der Reithalle wurden schließlich drei Modelle erstellt, welche die verschiedenen Situationen der vorhandenen Verstärkungsmaßnahmen darstellen. 

Um die Notabstützungen in Zukunft zurückbauen zu können und dennoch ein funktionierendes Tragverhalten sicherzustellen, sind Instandsetzungsmaßnahmen notwendig. Es wurden fünf unterschiedliche Instandsetzungsvarianten erarbeitet, welche jeweils auf einem anderem Tragmechanismus beruhen. Im Anschluss wurden die Varianten verglichen und eine Empfehlung für das weitere Vorgehen gegeben. 

Hintergrund 

Gegenstand dieser Masterarbeit ist die Reithalle am Marstall im UNESCO-Weltkulturerbe Bergpark Wilhelmshöhe in Kassel. Sie wurde Ende des 18. Jahrhunderts im Ökonomiebereich des Schloss Wilhelmshöhe errichtet, in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder als Veranstaltungsort genutzt und ist zurzeit ein Unterstand für Gartengeräte und Fahrzeuge. Das Herunterfallen von Bauteilen in den vergangenen Jahrzehnten lässt auf Bewegungen im Gefüge des Dachtragwerkes schließen. Dies gab Anlass für eine Notsicherung mittels mehrerer Holzstützen. 

Die Landesinstitution „Hessen Kassel Heritage“, welche das Gebäude verwaltet, möchte in der Reithalle zukünftig wieder Veranstaltungen stattfinden lassen. Hierfür soll das Tragwerk durch Maßnahmen so instandgesetzt werden, dass die Notabstützung wieder zurückgebaut werden kann. Auf Grund der Größe und Komplexität erfordert das Tragwerk eine ingenieurmäßige Untersuchung und Modellierung, um weitere Planungsschritte einzuleiten. 

Die Reitkunst war in der Hofhaltung des Barocks auf Grund von Pferden als Zeichen der Herrschenden wichtig. Die Reithäuser haben eine besondere architekturgeschichtliche Bedeutung, da diese möglichst stützenfrei über größere Räume spannen. Die 1789 errichtete Reithalle des Bergparks Wilhelmshöhe steht im Zusammenhang mit dem dort befindlichen Marsstallkomplex. 

Die Reithalle ist ein rechteckiger Fachwerkbau auf einem Natursteinsockel mit flach geneigtem Walmdach. Das Gebäude hat ungefähr eine Breite von 18 m und eine Länge von 30 m bei einer Firsthöhe von 10 m. Die heute sichtbare Dachkonstruktion besaß ursprünglich eine verputzte Holzschalung, die ein Gewölbe simulierte. 

Die Fachwerkwände aus Eichenholz stehen auf einem Natursteinsockel aus Tuffstein. Zwischen den Fenstern ist die Konstruktion in jeweils zwei bzw. drei Achsen zweischalig ausgeführt. Es entstehen so zusammengesetzte Fachwerkstützen aus vier bzw. sechs Ständern. Diese haben eine Gesamttiefe von ca. 75 cm. Auf der Fachwerkwand sitzt das Walmdach auf, welches als „offenes Dachwerk“ ausgebildet ist. Das Dachtragwerk kann in Binder- und Leergespärre unterteilt werden. Das Bindergespärre steht als liegender Stuhl mit Hängewerk, welches auf dem Kehlbalken abgestrebt ist. Die Stuhlsäulen sind hier in der Regel als doppelte Stuhlsäule ausgeführt. Typisch für das offene Dachwerk sind die fehlende Zerrbalkenlage sowie eine Kreuzstrebenkonstruktion als Zange aus Holz und Metall. Auf Dachbalkenebene sind metallische Zugbänder vorhanden, welche nicht bauzeitlich sind, sondern später nachgerüstet wurden. 

Tragwerksanalyse 

Die barocken Dachwerke wurden auf Grundlage von Erfahrungen mit bewährten Konstruktionen entworfen. Wissenschaftliche Berechnungen gab es erst ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts im Bauwesen. Der Kraftfluss von „Offenen Dachwerken“ ist auch wegen des hohen Maßes an statischer Unbestimmtheit nicht intuitiv ablesbar, wie das zum Beispiel bei Sparren- und Pfettendächern der Fall ist. 

Die statische Sicherung von historischen Gebäuden ist Teil der Denkmalpflege. Um hierfür Sicherungskonzepte zu entwickeln ist es wichtig den Lastfluss der vorhandenen Substanz zu kennen. Für die Dimensionierung der aus den Konzepten hervorgehenden Bauteile muss der Lastfluss quantitativ bestimmt werden. Dies wird nicht am Objekt selbst ermittelt, sondern über abstrakte Modelle, die das Tragsystem darstellen, berechnet. Je genauer hierbei das Modell ist, desto genauer sind die Ergebnisse, mit denen gearbeitet werden kann. Daher ist es wichtig, das gebaute Tragwerk möglichst genau in ein berechenbares Modell zu überführen. Die Berechnung selbst erfolgt mit Hilfe von Computer-Programmen, die auf der Finite-Elemente-Methode (FEM) basieren. 

Offene Tragwerke sind besonders anfällig für Modellierungsfehler. Besonders die Auflagersituation der Dachfußpunkte ist für das Ergebnis entscheidend. Es ist deshalb wichtig, auch diese Situation möglichst realitätsnah zu betrachten. 

Um historische Tragwerke realitätsnah zu modellieren ist es wichtig, das Trag- und Verformungsverhalten zimmermannsmäßiger Verbindungen zu kennen, da diese einen entscheidenden Einfluss auf das gesamte Tragverhalten eines Modells haben. Dies bezieht sich vorwiegend auf die translatorischen Steifigkeiten einer Verbindung. Die Rotationssteifigkeiten haben auf Grund des geringen Hebelarms einer kleinen Anschlussfläche nur einen geringen Einfluss auf das Tragverhalten und wurden in der Forschung bislang wenig beachtet. Die Berner Fachhochschule (BFH) erarbeitete einen Leitfaden für die baupraktische Anwendung des Trag- und Lastverformungsverhaltens historischer Holzverbindungen. Da laut Hochschule den Ingenieuren nicht genügend Kenngrößen für die Berechnung von historischen Tragwerken zur Verfügung standen, wurden historische Verbindungen oft unterschätzt. Die Ergebnisse wurden 2016 in einem Forschungsbericht veröffentlicht. 

Die in dieser Masterarbeit verwendeten Steifigkeiten beziehen sich auf Druckanschlüsse, Versätze, Holznägel sowie Eisenteile. 

Tragwirkung 

Die Bindergespärre tragen als Fachwerkträger mit geknicktem Untergurt. Unter Zug sind dabei die unteren Abschnitte der Kreuzstreben, die Spannriegel, die Hängesäule und die oberen Kopfbänder (siehe Abbildung 4). Sparren und Kehlbalken haben eine hohe Druckbeanspruchung. Die Sparren sind an ihren Fußpunkten nur gering belastet. Grund hierfür sind die Kreuzstreben, welche aufgrund ihrer Zugbeanspruchung die Last der Sparren auffangen und eine horizontale Verschiebung verhindern. Die Fachwerkstützen nehmen die auftretende horizontale Kraft und das daraus resultierende Moment als Kräftepaar auf. Der außenliegende Ständer ist auf Druck, der mittlere Ständer auf Zug beansprucht. 

Instandsetzungskonzept 

Da das Dach der Reithalle als flachgeneigtes offenes Dachwerk gebaut wurde, treten an den Fußpunkten des Daches horizontale Kräfte auf. Diesen müssen über die Wände beziehungsweise die mehrteiligen Fachwerkstützen (siehe Abbildung 5) in den Baugrund geleitet werden. Um die Instandsetzungsvarianten gezielt auszuarbeiten, wird die Darstellung der Wand zunächst vereinfacht. In Anlehnung an die Kernweite von Fundamenten wird die Wand als auskragendes senkrechtes Bauteil betrachtet. Die Vertikallast im Abstand e von der Mitte der Wandstütze kann innerhalb oder außerhalb der Kernweite wirken. Im vorliegenden Fall ist die Kernweite der Querschnitt der zusammengesetzten Fachwerkstütze. Wirkt die Kraft innerhalb, so ist die Fachwerkstütze überdrückt. 

Die Ausarbeitung von fünf Varianten, die auf verschiedene Arten das Problem einer außerhalb der Kernweite wirkenden Vertikallast lösen, zeigt, dass es am effektivsten ist, die horizontale Kraft aus dem Schub zu verringern. Als sinnvoll und praktikabel wurde herausgearbeitet, dass die Knotenpunkte des Dachtragwerks ertüchtigt und verstärkt werden. Mit zusätzlichen Seilen und einer Wechselkonstruktion sollen die Deckenbalkenstummel gefasst werden und die auftretenden Horizontalkräfte kurzgeschlossen werden. 

Zur besseren Transparenz, auch im Zuge der Öffnung des Gebäudes für den Publikumsverkehr ist zu empfehlen, dass die erforderlichen Maßnahmen und deren Ursache niederschwellig an einer Infotafel oder Ähnlichem erläutert werden.

Zusammenfassung 

Die vorliegende Masterarbeit hat die realitätsnahe Tragwerksanalyse eines barocken Dachwerks gezeigt. Es wurde auf den Lastfluss und das Tragverhalten der Konstruktion eingegangen und verschiedene Instandsetzungskonzepte entwickelt. In einer Recherche konnte gezeigt werden, dass die genaue Modellierung des Tragwerkes, insbesondere der Knotensteifigkeiten, eine wichtige Grundlage für die weitere Planung bildet.

Projektbeteiligte

1. Gutachter

Professor für Bauwerkserhaltung, Bauen im Bestand und Holzbau
Studienfachberater Ing•Bau – Bauwerkserhaltung und Neubau im Ingenieur- und Hochbau (M. Sc.)
Leiter Baulabor Konstruktiver Ingenieurbau (BKI)

Masterabsolvent

Jakob Fock