Rückblick
Das Reallabor Gender im Kaukasus auf Exkursion in Baku
Nachdem wir im März während politischer Unruhen soziale Arbeit in Georgien kennengelernt hatten, führte uns unsere Abschlussexkursion ins sehr heiße Baku. Gemeinsam mit unseren Teamkolleg*innen aus Georgien und der Ukraine besuchten wir junge Sozialarbeiter*innen, die sich in zivilgesellschaftlichen Initiativen unter hohen persönlichen Risiken für die demokratische Entwicklung in Azerbaijan engagieren.
Die Sozialarbeiter Zamin Zekiyev und Jamil Ahmadzada von Ubuntu beispielsweise leisten queere Sozialarbeit in einer überwiegend queerfeindlichen Gesellschaft. Sie arbeiten zusammen mit Hochschuldozent*innen an einer praxisnahen Gestaltung des Curriculums für Soziale Arbeit, um die Absolvent*innen auf die realen und vielfältigen Herausforderungen des Berufslebens vorzubereiten. Die Initiative setzt sich außerdem aktiv für die Verständigung zwischen Armenier*innen und Aserbaidschaner*innen ein, ein heikles Thema, das von Seiten des Staates mit Landesverrat gleichgesetzt wird. Sie hilft zudem Veteranen des jüngsten Krieges um Berg Karabach bei der Verarbeitung ihrer Traumata – auch hier entziehen sich staatliche Institutionen ihrer Verantwortung.
Die Gründerinnen des Gender Resource Center, Saadat Abdullazada und Aida Mirzayeva, stellten ihre Projekte zu sexueller Aufklärungsarbeit für Mädchen im ländlichen Raum vor, die im Schulunterricht tabuisiert ist. Sie entwickeln zudem kindgerechte Materialien, die Genderstereotypen aufbrechen sollen. Das kreative Kollektiv von Var.yox argumentiert mit der Freiheit der Kunst, wenn es mit fotografischen und filmischen Mitteln gesellschaftliche Missstände deutlich sichtbar macht und kritisiert. Ayna versucht, Schutzräume für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und Kinder zu schaffen und Wege zu einem selbstbestimmten Leben zu ebnen. Und es gibt eine Art Berliner Tacheles in Baku! Salaam Cinema ist ein von Künstler*innen besetztes sehr baufälliges Haus im Zentrum der Stadt, in dem Ateliers, Werkstätten, Räume für Bandproben, Ausstellungen und Filmvorführungen in liebevoller Eigeninitiative hergerichtet wurden. Die Zukunft des Hauses ist völlig ungewiss, der Ort als Raum für unzensierten Gedankenaustausch und leben lassen von unschätzbarem Wert.
Alle Aktivist*innen, mit denen wir sehr offene Gespräche führen durften, sind untereinander sehr gut vernetzt und unterstützen sich gegenseitig. Sie berichten aber auch von einer hohen psychischen Belastung nicht nur aufgrund fehlender Selbstfürsorge, sondern auch wegen der ständig präsenten Bedrohung durch Polizeigewalt und intolerante, aggressive Mitmenschen. Die zudem häufig prekäre finanzielle Situation und die fehlende Aussicht auf eine politische Zeitenwende lassen viele an eine Zukunft im Ausland nachdenken. Für die aserbaidschanischen Sozialarbeiter*innen waren die vielen Fragen der Studierenden eine seltene und sehr willkommene Gelegenheit, ihre Arbeit zu reflektieren und in einen Austausch über die Gegebenheiten Sozialer Arbeit in Deutschland zu treten.
Gabriel Colero vom Reallabor Gender im Kaukasus fasste seine Eindrücke nach der Reise in folgende Worte: „Ich bin sehr dankbar dafür, die Gelegenheit bekommen zu haben, Soziale Arbeit in Aserbaidschan kennenzulernen. Ich halte es für eine sehr hilfreiche und notwendige Ergänzung zu unserer theoretischen Vorarbeit im vergangenen Jahr.
Die Treffen mit den unterschiedlichen aktivistischen Organisationen verdeutlichten mir anhand sehr herausfordernden Realitäten den Wert und die Notwendigkeit eines rechtlichen Rahmens Sozialer Arbeit. Ohne staatliche Anerkennung, ohne Finanzierung von staatlicher Seite, viel mehr als Verfolgte und potentielle Straftäter*innen arbeiten Sozialarbeitende und Aktivist*innen mehr oder weniger im Untergrund, um Menschenrechte zu schützen und zu bewahren. Unter diesen widrigen politischen und rechtlichen Bedingungen gibt es viele vulnerable Gruppen, die sozialarbeiterische Unterstützung dringend brauchen, jedoch machen sich die professionellen Fachkräfte damit angreifbar und gefährden ihre eigene Freiheit und Gesundheit.
Dank der Gespräche und den Eindrücken, die ich vor Ort sammeln konnte, wurde mir die Bedeutung des politischen Mandats in der Sozialen Arbeit deutlicher denn je zuvor. Die Arbeit der Initiativen, die sich mit Frauenrechten und den Rechten queerer Personen auseinandersetzen, beschränkte sich nicht auf soziale Arbeit, sondern war zwangsläufig auch eine Form des politischen Aktivismus. Ich denke, dies sollte auch soziale Arbeit in Deutschland immer wieder berücksichtigen. Es war auf eine Art erfrischend und ermutigend, diese junge, revolutionäre Generation Sozialarbeiter*innen kennenzulernen, welche gerade dabei ist, Soziale Arbeit als Profession in Aserbaidschan zu etablieren.“
David Degener, der sich besonders für das Thema queere Sozialarbeit interessierte, stellte fest: „Es wurde deutlich, dass die Sichtbarkeit von queeren Personen schwer durchzusetzen ist und sich die Community eher an nur ihnen bekannten Orten trifft. Es gibt nur wenige Ressourcen und Unterstützungsangebote speziell für diese Gemeinschaft. Einige engagierte Einzelpersonen arbeiten jedoch daran, geschützte Räume und Beratungsangebote zu schaffen, die es queeren Menschen ermöglichen, sich sicher zu fühlen und Unterstützung zu finden.“ Auch sei die Situation von Frauen in dem Land sehr komplex. „Oft sind Frauen an traditionelle Geschlechterrollen und Stereotype angebunden. Ein paar soziale Projekte zur Förderung von Empowerment und Bildung für Frauen existieren, doch sie stoßen auf Widerstände und müssen behutsam in die bestehenden Strukturen integriert werden.“
Wir sind dankbar für den Erfahrungsaustausch mit unseren Kolleg*innen der Sozialarbeit und freuen uns auf künftige Kooperationen.
Besonderer Dank gilt dem Programm Östliche Partnerschaft und Russland des Auswärtigen Amts für die freundliche Unterstützung des Projekts Gender im Kaukasus!
#CivilSocietyCooperation
#FHP